Was ist unter Skin Picking Disorder zu verstehen?

Die theoretische Seite der Störung

Unter Skin Picking Disorder oder Dermatillomanie versteht man eine zwanghafte Selbstschädigung der Haut, die thematisch zu den Körperbildstörungen (Dysmorphophobien) zählt.

Von Skin Picking betroffene berühren, reiben, kratzen, knibbeln oder quetschen Hautstellen. Nicht zu verwechseln ist diese Störung mit der Trichotillomanie, bei der Betroffene sich zwanghaft Haare ausreißen – wenngleich sich der Ablauf der Störung sehr ähnelt. 

Neben dem Begriff „Skin Picking Disorder“ ist diese Impulskontrollstörung auch unter folgenden Namen in der Fachliteratur zu finden:

  • Dermatillomanie (aus dem Griechischen, setzt sich zusammen aus Derma (= Haut), tillein (= rupfen) und Mania (= Begeisterung, Wahnsinn)
  • Excoriation Disorder
  • Acné excoriée des jeunes filles (In Frankreich wurde diese Erkrankung insbesondere bei Mädchen im Teenageralter festgestellt)
  • Neurotische Exkoriation
  • Skinorexie
  • Psychogene Exkoriation

Tatsächlich wurde dieses Phänomen bereits 1875 erstmalig entdeckt. Der englische Arzt Sir Erasmus Wilson sprach zu dem Zeitpunkt das erste Mal von „neurotic excoriation“. 

Leben mit der Impulskontrollstörung

Skin Picking kommt häufiger vor als man denkt. Leider gibt es bisher noch nicht viele Statistiken zu dem Thema, da diese Störung bisher eher „unter dem Radar“ geflogen ist und in Fachliteratur und Medien so gut wie keine Rolle spielt. Dabei ist der Leidensdruck für Betroffene extrem hoch. Denn diese Störung geht nicht nur mit großem Schamgefühl einher, in extremen Fällen führt sie sogar dazu, dass sich Betroffene aus dem alltäglichen Leben zurückziehen, soziale Kontakte meiden oder kaum noch das Haus verlassen. Diese Umstände können dann wiederum bis hin zu einer schweren Depression führen.

Erfahre mehr zu meinen persönlichen Erfahrungen mit Skin Picking Disorder

Betroffene leiden oft leise über einen langen Zeitraum, der von Jahren bis Jahrzehnten reichen kann. Oftmals fühlen sie sich nicht „normal“ und verstehen nicht, warum sie es „nicht einfach sein lassen“ und mit dem Knibbeln aufhören können. Wenn im privaten oder beruflichen Umfeld Menschen darauf aufmerksam werden, geben diese meist wenig hilfreiche Ratschläge, wie „Hör doch einfach auf damit!“. 
Wenn Betroffene dann erfahren, dass es für ihr Problem einen Namen gibt, sind viele überrascht. Aber auch erleichtert, denn dann wissen Sie endlich, dass es Möglichkeiten gibt, mit diesem Problem umzugehen.

Leider ist es jedoch so, dass, auch wenn diese Körperbildstörung schon lange in der Fachliteratur beschrieben wurde, nur wenige Ärzte und Psychotherapeuten dieses Problem kennen und dementsprechend auch behandeln können. Skin Picking wird oftmals schlichtweg nicht thematisiert, so dass es Betroffenen an Anlaufstellen und Möglichkeiten fehlt, ihr Problem mithilfe von ärztlicher Begleitung endlich in den Griff zu kriegen. Therapieangebote sind kaum zu finden, Medien berichten so gut wie gar nicht über Skin Picking Disorder und so kommt es oft, dass Betroffene viel zu oft auf sich allein gestellt sind. 

Sich nicht mehr allein fühlen

Ich selbst habe genau diesen Prozess erst 2018 durchgemacht, denn durch eine Facebook-Gruppe habe ich erstmalig davon erfahren, um welches Krankheitsbild es sich handelt. Zum Glück macht es das Internet heutzutage möglich, dass sich Betroffene vermehrt in solchen Gruppen oder auch Foren erstmalig mit anderen Betroffenen austauschen können. Durch diesen Austausch merken viele das erste Mal, dass sie nicht allein mit diesem Problem sind und dementsprechend auch nicht „unnormal“ sind.

Ein paar Zahlen zu dem Thema

Vollmeyer und Fricke weisen in ihrem Buch „Die eigene Haut retten – Hilfe bei Skin Picking“ (2016) auf verschiedene Studien hin, die zumindest im Groben Aufschluss darüber geben, wie weit Skin Picking verbreitet ist:

  • Eine Studie von Nancy Keuthen (2010) fand heraus, dass ca. 1,4 % von 2.500 Befragten ihre Haut übermäßig bearbeiten und deshalb sehr belastet oder in wichtigen Lebensbereichen beeinträchtigt sind. 10% sagen, dass sie zumindesten einmal in ihrem Leben ihre Haut so stark bearbeitet hatten, dass Hautverletzungen entstanden sind.
  • Eine weitere Studie von Hayes und Mitarbeiter (2009) landete bei einer Zahl von ca. 5%.
  • Griesemer stellte bereits 1978 fest, dass 2% aller Hautarztpatienten unter Dermatillomanie leiden.
Außerdem tritt Skin Picking auch häufig in Kombinationen mit anderen psychatrischen Erkrankungen auf: 8% aller erwachsenen Zwangskranken und 13% aller zwangserkrankten Kinder und Jugendlichen leiden gleichzeitig an Skin Picking – vor allem diejenigen mit einer körperdysmorphen Störung (Grant und andere, 2006 und 2010)

Was Skin Picking und Genuss miteinander zu tun haben

Nun ist aber auch so, dass Skin Picking nicht nur negative Seiten hat – wäre dem so, dann wäre es wahrscheinlich weitaus einfacher, „einfach aufzuhören“. Wie bei vielen anderen Zwangsstörungen ist es auch bei Skin Picking so, dass immer eine „Genusskomponente“ mit im Spiel. Betroffene (inkl. mir) beschreiben oft einen Zustand der Euphorie, ein Erfolgsgefühl oder einer tiefen Befriedigung, wenn sie es „geschafft“ haben, einen überstehenden Hautzippel, den Wundschorf einer Wunde, diesen einen Pickel, uvm. endlich beseitigt zu haben. 

Die Genusskomponente bei der Zwnagsstörung

Manche fühlen sich danach „sauberer„, weil sie den „Dreck“ oder auch das „Unperfekte“ endlich losgeworden sind. 
Andere wiederum empfinden allein wegen des befriedigenden Gefühls am Ende einer Episode ein großes Schamgefühl, weil „das ja nicht normal sein kann“ oder auch von anderen als „eklig“ beschrieben wird.

Diese Genusskomponente macht es umso schwieriger, einfach von der betroffenen Hautstelle abzulassen – denn es gibt kurzfristig durchaus einen Kick, auch wenn es langfristig gesehen zu sichtbaren und unsichtbaren Schäden führt.
Eine Therapie kann dabei helfen, diesem kurzfristigen Impuls durch verschiedene Techniken zu widerstehen, u.a. durch das Habit-Reversal-Trainig, der sogenannten „Gewohnheitsumkehr“. In meinem Blog werde ich noch genauer auf diese Technik und meinen Erfahrungen damit eingehen.

Mehr interessante Literatur zu dem Thema findet ihr unter der Rubrik „Tipps & Tricks„.