Mit Therapie dem Skin Picking an den Kragen

Mit Therapie dem Skin Picking an den Kragen

„Wow, ich mache das wirklich.“ Irgendwie ging es dann doch alles so schnell, dass ich gar nicht realisiert habe, dass ich jetzt wirklich eine Therapie gegen mein Skin Picking Problem mache. Dazu gehört nicht nur viel Vorarbeit, sondern auch viel Mitarbeit. Höhen und Tiefen zählen dazu, Erfolge und Rückschläge. Aber im Großen und Ganzen bin ich dank Therapie so viel weiter, als ich es alleine hätte schaffen können.

Der Start - Zu schön, um wahr zu sein?

In meinem letzten Beitrag habe ich ja bereits geschrieben, dass das mit dem Therapie-Platz relativ schnell bei mir ging. Meine Therapeutin hat mich sehr unterstützt bei der Beantragung. 
Zunächst einmal musste ich zu meiner Hausärztin, um für die Krankenkasse den Nachweis zu bekommen, dass mein Rumknibbeln nicht hormonell bedingt ist und dementsprechend nur eine Verhaltenstherapie dabei helfen kann. Der Termin bei ihr dauerte gerade mal 3 Minuten und schon hatte ich die Bestätigung in der Hand. Damit ging es dann zu meiner Hausärztin, die alles (inkl. Ihrer Unterlagen) an meine Krankenkasse schickte und damit direkt eine Kurzzeittherapie für mich beantragte. Nach 2, 3 Wochen flatterte dann die Bestätigung für die ersten 12 Therapiesitzungen ins Haus und damit konnten wir die Therapie offiziell starten.
Zunächst einmal wöchentlich, später dann alle 2 Wochen und mittlerweile nur noch einmal im Monat.

 

Wie beantrage ich eine Therapie?

Im Blog von „Ein guter Plan“ findest du einen ganz guten Artikel darüber, welche Schritte du beachten musst, wenn du eine Therapie in Anspruch möchtest. Generell ist die Beantragung auch für viele, die überlegen eine Therapie zu machen, die größte Hürde. Es wirkt alles erstmal wahnsinnig erschlagend, man muss sich um relativ viel kümmern, Therapeuten finden, Termine machen und und und. Ich möchte an dieser Stelle auch gerne darauf hinweisen, dass ich diese Therapie in einer Phase der vollkommenen geistigen Gesundheit beantragt habe und es mir dementsprechend auch nicht schwer fiel, diese Schritte zu tätigen. Dementsprechend möchte ich an dieser Stelle auch nochmal dafür sensibilisieren, dass man Verständnis für Leute hat, die schon lange davon reden, eine Therapie machen zu wollen und es dann letztlich doch nicht machen. Wenn man gerade mit psychischen Problemen zu kämpfen hat, dann ist die Beantragung auch oft ein „Kampf“, vor dem man in solch einer Situation umso mehr zurückschreckt. Bietet bitte Hilfe und Unterstützung an, wenn ihr merkt, dass Freunde/Familie/Bekannte diesen Schritt gerade nicht wagen wollen/können.

Die erste Hürde vor dem offiziellen Start

Vor unserem ersten offiziellen Termin im Januar bekam ich von meiner Therapeutin zwei Hausaufgaben: 
1. Ich soll einen „normalen“ Lebenslauf ausfüllen, bei dem ich auch meine Familienmitglieder, vergangene Krankheiten, Verletzungen, Schulausbildung. etc. aufschreibe.

2. Ich soll einen „psychografischen Lebenslauf“ aufschreiben. Heißt, seit der Geburt jeden Moment aufschreiben, der mir nachhaltig gut oder schlecht in Erinnerung verblieben ist – und dann dazu notieren, ob und wie stark ich in dieser Phase an meiner Haut rumgepult, Pickel ausgequetscht oder Wunden aufgekratzt habe.

Psychografischer Lebenslauf

Während mir Nummer 1 noch relativ leicht fiel, habe ich für die 2. Aufgabe bestimmt 4-5 Tage gebraucht. Nicht, weil es mir schwerfiel, die Erlebnisse aufzuschreiben. Sondern weil ich richtig emotional/gefrustet/wütend wurde, teilweise auch unschöne Erlebnisse aus der Vergangenheit nochmal hochzuholen. Ich bin ein Mensch, der Dinge gut verarbeiten kann. Und dann versucht, sie auch gut zu verstauen, so dass sie nicht immer wieder hochkommen. Aber in dem Moment war ich dazu gezwungen das zu tun. Ich musste teilweise mitten im Satz abbrechen, weil ich eine so hohe Reaktanz gespürt habe, dass ich einfach sofort alles hinschmeißen wollte. Die Therapie doch nicht zu machen, nur weil ich diesen blöden Lebenslauf ausfüllen muss. Ich habe die Aufgabe übrigens so lange aufgeschoben, bis mir nur noch ein paar Tage blieben, bis die erste Therapie-Sitzung offiziell gestartet ist. Deshalb MUSSTE ich die Tage zwischen den Feiertagen nutzen, um die mir gestellte Aufgabe zu erledigen. Denn auf der anderen Seite schlägt immer noch das Streberherz in mir, welches dazu führt, dass ich diese Aufgabe möglichst gut machen wollte. Hallo Zwiespalt.

Die ersten Sitzungen

Als ich dann bei meiner ersten Therapiestunde saß, war ich beinahe stolz, meiner Therapeutin die 6 Seiten Lebenslauf mit all meinen wichtigen Erlebnissen in die Hand zu drücken. 

Es war auch gut, dass ich mich dadurch gekämpft habe, denn dieser Lebenslauf war bestimmt die ersten 4-5 Sitzungen Grundlage für unsere Gespräche. Wir sind diesen nämlich Schritt für Schritt durchgegangen und haben versucht, mögliche Auslöser zu identifizieren, die in der Vergangenheit zu schlimmen Skin-Picking-Phasen geführt haben. Übrigens ist dies nur ein Ansatz, wie man solch eine Verhaltenstherapie durchführen kann. Bei anderen Therapeuten mag das tatsächlich anders ablaufen.

Meine Therapeutin bekam dadurch ein recht gutes Gefühl für mich und lernte mich in relativ kurzer Zeit gut kennen. Vor dem Hintergrund, dass sie mir einen Kurzzeittherapieplatz (max. 24 Stunden) angeboten hat, auch nicht die schlechteste Methode, um schnell einzufinden. 
Der früheste Auslöser, an den ich mich übrigens erinnern kann, war der Tod meiner geliebten Oma Luise, als ich 13 war. Ich glaube, da hat es angefangen, dass ich mich immer mehr mit meiner Haut „beschäftigt“ habe. 

Die nächste Aufgabe: Selbstbeobachtung

Was danach folgte war wieder relativ „leicht“: Ich sollte mich für 2 Wochen selbst beobachten und notieren, wann ich in welchen Situationen bei welchen Gefühlen dazu neige, an meine Haut zu gehen, zu knibbeln, quetschen und zu kratzen. 

Das habe ich mit einer Google-Tabellen Liste gemacht. Ich hab euch hier mal ein Exemplar in Excel erstellt, welches ihr auch gerne für euch mal nutzen könnt, wenn ihr das selbst einmal bei euch ausprobieren wollt:
Selbstbeobachtung – Skin Picking Selbsthilfe (einfacher ist es, ihr übertragt euch die Tabelle in Google Tabellen, dann könnt ihr auch immer überall drauf zugreifen!).

Diese Selbstbeobachtung führte zu der wichtigen Erkenntnis, in welchen Situationen ich zum Skin Picking neige:

Konzentration 
Ich neige dazu, unbewusst an meiner Haut zu knibbeln, wenn ich mich konzentriere. Sei es in Gesprächen oder bei der Arbeit. Diese „Übersprungshandlung“ ist zuerst unbewusst, wenn mir mein Verhalten dann aber bewusst wird, wird es zwanghaft, weil ich dann nicht mehr aufhören kann.
Deshalb kann man bei mir sowohl von einer Impulskontrollstörung als auch Zwangsstörung sprechen.

Leerlauf
Der zweite Zustand, in dem ich zu intensiven Skin Picking Phasen neige. Auf der Couch beim GZSZ gucken zum Beispiel. Das hat wahrscheinlich mit meinem sonst sehr hohen Stress- (oder positiver) Energielevel zu tun. Denn in Phasen des „Leerlaufs“, in denen mein Gehirn nicht so gefordert wird wie sonst, hat es endlich mal die Möglichkeit, all den Stress „rauszulassen“ – in Form von Knibbel-Attacken.

Erste Klarheit im Alltag

Diese Art der Selbstbeobachtung war ein Life Changer für mich. Denn auf einmal wurde mir sehr viel schneller bewusst, wenn ich gerade wieder dabei bin, meine Haut zu bearbeiten. Und konnte dementsprechend viel schneller handeln. 

Meine Aufgaben sind bis heute:

  • Für Entspannung und Ausgleich im Alltag sorgen (Meditation, Sport, einfach mal kurz innehalten)
  • Meine „Tangletoys“ benutzen (mein bester Freund ist das Invisibobble Haargummi) (Mehr dazu hier)
  • Immer ein Nagelset dabei zu haben, um mich nervende abstehende Hautschüppchen abzuschneiden statt abzuknibbeln
  • Habit-Reversal-Training (dazu beim nächsten Mal mehr)
  • Und ganz wichtig: Mich belohnen. 
Klarheit über die Ursache

Gerade neulich ist mir klargeworden, dass ich vor allem die letzten beiden Punkte sehr vernachlässige. Als Sparfuchs stehe ich Selbstbelohnung durch Konsum recht kritisch gegenüber. In meinem Fall gehört es aber zur Therapie, sich auch mal was schönes zu gönnen, z.B. eine Maniküre, Pediküre, eine Massage, das Yogastudio, etc. Und auch das Habit-Reversal-Training fällt mir noch schwer, im Alltag unterzubringen. Aber ich arbeite dran.

Erfolg, der bis heute anhält

8 Monate später schaue ich zurück und bin ganz schön stolz auf mich. Ich bin auf einem guten Weg. Dieser Weg heißt übrigens nicht „Perfektion“ sondern „Weniger knibbeln“. Und manchmal ist es super, wenn ich nur 80% statt 100% und manchmal schaffe ich sogar 20%. Das Mindset, welches mir dabei hilft, ist, die Erfolge zu sehen und nicht die Misserfolge. Manchmal fällt auch mir das schwer. Vor allem, weil ich vor ca. 4 Wochen statt meiner Fingernägel nun verstärkte Pickelchen an meinem Oberarm ausquetsche und ich Angst hatte, dass sich mein Verhalten nun einfach verlagert. Aber genau dafür habe ich dann meine Therapiesitzungen. Manchmal hilft es schon, sich den Stress von der Seele zu reden und positiv von einer externen Person darin bestärkt zu werden, dass man trotz Rückschläge auf einem sehr guten Weg ist. 100% knibbelfrei wird es wohl nie werden, dazu ist der Zwang zu tief in meinem Unterbewusstsein. Aber es geht auch viel mehr darum, Wege zu finden, wie man mit dieser Störung umgehen kann. Um Strategien, um Entspannung und um Umlenkung des Verhaltens. Und tatsächlich sehe ich meine Skin Picking Intensität mittlerweile als eine Art Kompass für meine psychische Gesundheit. Wenn ich wieder verstärkt an mir rumpule, weiß ich dann ganz schnell, dass ich etwas herunterfahren muss, mehr auf mich achten sollte und meine Prioritäten zu hinterfragen. Ich glaube, das ist der größte Erfolg bisher, dass ich diese Zwangsstörung mittlerweile als eine Art „beratenden Freund“ sehe, der mir zeigt, wenn es gerade mal wieder zu viel von allem ist.

Antje

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